: Verspeist wie Magerquark
Alemannia Aachen kann nicht nur Skandale produzieren, sondern auch Siege. Durch ein 2:1 im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen den FC Bayern wird der Zweitligist zum Rekordpokalsiegerrauswerfer
AUS AACHEN BERND MÜLLENDER
2:1 gegen den FC Bayern. Im „Spiel des Jahrzehnts“ (Alemannia-Torwart Stephan Straub) war es ein Triumph schlechterdings gegen „das Imperium“ (Aachener Zeitung). Bei E-Bay waren in Aachen bis zu 240 Euro pro Ticket gezahlt worden, das altersschwache Tivoli-Stadion von 1928 hatte bedenklich gebebt und die Aachener Zweitliga-Kicker „Rekordpokalsiegerrauswerfer“-Hemden übergestreift. Danach fuhren hupende Auto-Corsi durch die sirrende Vorfrühlingsnacht. Und Bayern-Trainer Hitzfeld stellte felsgesichtig fest, sein FC Ruhmvoll habe es „nicht geschafft, das Tempo mitzugehen“ und sich „einfach blamiert“.
2:1. Euphorie, Alkoholexzesse. Wer aber richtig was auf sich hielt als Aachener, der hat sich gestern zum Kater-Frühstück erst an der Zeitungsschlagzeile „Die beste Elf der Welt trifft auf eine noch bessere“ ergötzt – und die Bayern stilsicher noch mal verputzt. Zumindest Roy Makaay, den Münchener Stürmer. Makaay wird in Aachen nämlich aufs Brötchen geschmiert. Makaay heißt auf Aachener Platt schlicht Quark; zwar Mackei geschrieben, aber im Regiolekt ausgesprochen wie der niederländische Millionenstürmer.
Makaay, der mit fast 20 Millionen Euro doppelt so viel gekostet hat wie Alemannias Saisonetat stark ist, war als Gelegenheitsjogger mit drei Verzweiflungsschüssen auffällig geworden und als Erster vom Platz getrabt. Manager Uli Hoeneß brodelte wortlos vor Wut. Michael Ballack behauptete kühn, der entthronte Titelverteidiger hätte zeitweise „gut gearbeitet“, Hasan Salihamidcic sah das Manko nur darin, „die erarbeiteten Chancen nicht genutzt“ zu haben. Was die pomadigen und lustlosen Arbeitsverweigerer vom FC Bayern ablieferten, war nichts als ranziger, angeschimmelter Magerquark. Die Stimmung exakt getroffen hatten schon vor dem Spiel Alemannia-Fans mit dem Transparent „Wir haben Eier. Und ihr nicht.“
Alemannia Aachen avanciert nunmehr endgültig zum Phänomen des deutschen Fußballs im 3. Jahrtausend. Der Klub gebiert konkurrenzlos miese Schlagzeilen wie ein Perpetuum mobile (Zuschauertumulte, Würgetrainer, Doping- und Finanzskandale, drohender Lizenzentzug, die „Kofferaffäre“). Nach dem Skandal ist vor dem Skandal – im Alemannia-Umfeld ist das längst ein geflügeltes Wort. Doch es gibt neben dem Morbus alemannia offenbar auch eine Medizin Alemannia. Der Traditionsklub ist gleichzeitig krisengebeutelt und erfolgsgeschüttelt: ein fußballerisches Yin und Yang. Verschleudertes und versickertes Geld bedeutet: Mit weniger Geld mehr Erfolg. Auf dem Platz heißt das: wundersame sportliche Erfolge und Aufstiegshoffnungen als derzeit Dritter. Wer dann noch die Münchner Bayern eliminiert, kriegt bundesweit ein besonderes Sympathie-Extra. Und die armen Verlierer Hohn und Spott: Der WDR rief gestern Mittag zu Trost-Mails für die Bayern auf.
Das 1:0 von Stefan Blank, Aachens Nr. 33, aus 33 Metern nach 33 Minuten war das meist belachte Tor, das Gelegenheitstitan Oliver Kahn seit dem WM-Finale kassierte: „Ein Torwartfehler par excellence“ stellte Kaiser Franz Beckenbauer fest. „Mitten drauf halten reichte halt“, grinste sich Schütze Blank eins. Ballacks unverdienter Ausgleich (45.) hatte sich als lähmendes Gift erwiesen für den FC Arrogantia. Dadurch glaubten sie: Ach, es reicht ja auch so.
Erik Meijer, Schütze des Siegtors (81.), sprach spät am Abend aus, was viele nach der umjubelten Halbfinal-Auslosung heimlich schon durchspekuliert hatten. „Wenn alles normal läuft, noch ein Sieg, und wir spielen nächstes Jahr europäisch. Es ist unglaublich.“ In der Tat: Sollte sich Werder Bremen in der Liga für die Champions League qualifizieren und sein Halbfinale daheim gegen Lübeck gewinnen, hätte sich Alemannia bei einem Heimsieg gegen den Nachbarn Mönchengladbach schon für den Uefa-Cup qualifiziert.
„Das wäre ein Hammer“, sagte Meijer (34) nach 174 Erstligaspielen in Leverkusen und Hamburg, „wenn ich das noch erleben dürfte.“ Und nach einem Moment des Nachdenkens: „Aber dann müsste ich ja meinen Vertrag noch verlängern.“ Aachens leidgeprüfter Sportdirektor Jörg Schmadtke weiß indes: „Wenn es zu gut geht, passiert hier immer was.“ Immerhin: Bislang ist weder einer der rostigen Flutlichtmasten eingestürzt noch der altersschwache Dom vor Glück kollabiert.